Eine Idee aus dem Mittelalter? Der Coworking Space

Schreiben in der Burg.

 

Das Bild des digitalen Nomaden ist geprägt vom Unterwegs-Sein: Mit einem MacBook im Rucksack, extrem mobil, ist er immer nur an den schönsten Orten der Welt zu finden. Kein Strand ist zu weiß, kein Meerwasser zu warm, kein Ort ist zu exotisch, um dort nicht auch arbeiten zu können. Und dabei verdient er auch noch mal eben ein nettes Sümmchen, dass ihm ein ausgesprochen komfortables, wenn nicht gar luxuriöses Leben in dieser exotischen Postkarte erlaubt. 

Aber die Realität sieht meistens anders aus. Nach wie vor ist das feste Büro der Arbeitsplatz schlechthin und wer kein Büro hat, der schafft bzw. besorgt sich einfach eines. Coworking Spaces liegen nach wie vor im Trend.

Wobei Räumlichkeiten für Schreibarbeiten - und um diese Form der Arbeit geht es bei Büroarbeiten vornehmlich -  keine Erfindung des 21. Jahrhunderts sind.

 

Im 20. Jahrhundert war es vor allem der Typus der so genannten „Neuen Frau“, die - klischeehaft ausgedrückt - mit Bubikopf-Frisur, Zigarette im Mundwinkel und Motorrad fahrend als Sekretärin massenhaft die Büros der Weimarer Republik eroberte. Den Grundstein für dieses Massenphänomen legte die beginnende Industrialisierung zum Ende des 19. Jahrhunderts. 

Doch bevor die Damen mehrheitlich in die Büros einzogen, waren es die Herren, die dort die Arbeitsplätze inne hatten. 

Wer kennt sie nicht, die Bilder, die beim Lesen von Thomas Manns Familienroman Buddenbrooks im Kopf entstanden sind: Die männlichen Familienmitglieder arbeiten nebst ihren Angestellten in den Kontors des Unternehmens und bringen selbiges zur Blüte - oder treiben es schließlich in den Untergang. Das Kontor war im 18. und 19. Jahrhundert die Bezeichnung des Büros eines Kaufmanns, die Kanzlei wurde das Büro eines Anwalt genannt. Die Tätigkeiten waren dabei immer ähnlich, es wurde gerechnet, es wurde bilanziert, es wurden Verträge aufgesetzt, es wurden Korrespondenzen verfasst. Kurz: In den Räumen wurde geschrieben; oft nicht nur von einer Person, sondern durchaus von mehreren.

 

Tisch und Stuhl sind notwendig.

Was macht ein Büro zum Büro?

Hierbei ist wichtig zu erwähnen, dass es gerade die Büroausstattung war, die simple Räume erst zu Büros machte. Wer würde schon einen Raum mit einem Sofa oder einem Bett als Büro bezeichnen. Erst die Anwesenheit eines Tisches und eines Stuhles macht einen Raum zu einem Büro - abgesehen von der dort auszuführenden Tätigkeit des Schreibens. Erwähnenswert ist natürlich auch die Tatsache, dass es schnell zu Erfindung von so genannten Großraumbüros mit ganz vielen Tischen und ebenso vielen Stühlen gekommen ist. Die jedoch wurden dann widerum genauso schnell wieder mittels Kabinensystem (engl. Cubicle) wieder verkleinert. Das war für die Konzentration der Angestellten, die dort ja unter anderem auch in Ruhe Schreiben sollen, besser.

Die Schrift und damit auch das Schreiben war schon in den frühen Hochkulturen bekannt. So musste es um 3000 v. Chr.  natürlich Schreiber geben, die die Zeichen festhielten. Doch Büros gab es noch nicht. Tische und Stühle waren in ihrer Funktion als Arbeitsplatz noch nicht bekannt; es wurde dort geschrieben, wo die Schrift benötigt wurde. So gibt es beispielsweise Abbildungen, die belegen, dass ägyptische Schreiber sogar bei der Feldarbeit anwesend waren und vor Ort die erwirtschaftete Getreidemenge aufzeichneten. Sie saßen dabei mit ihren Schreibgeräten auf dem Boden. Übrigens war der Beruf des Schreibers ein ausgesprochen angesehener, lukrativer und erstrebenswerter. Wer schreiben konnte, hatte Macht und Verantwortung und quasi nicht nur auf dem Papyrus was zu sagen. 

 

Wer schreiben kann, ist klar im Vorteil

Die Sache mit der Macht sollte sich im Laufe der folgenden Jahrhunderte nur marginal ändern. Im Sinne von „Wer schreiben kann ist klar im Vorteil“, änderte sich zunächst einmal nichts an den Machtverhältnissen in der Bevölkerung. Analphabeten waren immer klar im Nachteil. 

Nur der Ort des Schreibens änderte sich: Es kam im Laufe der Geschichte die demonstrative Zurschaustellung von Macht hinzu. Hier glänzt vor allem das Mittelalter in unserer kollektiven Wahrnehmung von Besitzverhältnissen, zu denen meiner Meinung nach auch Bildung zu zählen ist. Ein Aspekt, der selbstverständlich auch noch heute zählt und von enormer Wichtigkeit ist. Zwar bauen wir keine Schlösser, Klöster und Burgen mehr, doch ein Universitätsabschluss ist gesellschaftlich auch nicht zu verachten.

Gab es im alten Ägypten bereits den Beruf des Schreibers, so gab es diesen auch im Mittelalter. Er war bekanntermaßen hauptsächlich in den Klöstern zu finden. So war das Skriptorium die Schreibstube des Mittelalters. Hier wurde nicht nur geschrieben im Sinne von „wir kopieren mal ein gutes Buch und vergrößern unsere Bibliothek dadurch“ - hier wurden auch neue Texte verfasst, die ebenso die Bestände für des Lesens Kundige erweiterten.

 

Die Abtei als Ort der Macht.

Das fast perfekte Büro

Die Bedeutung einer mittelalterlichen Bibliothek hat ja übrigens spätestens der italienische Philosoph und Sprachwissenschaftler durch seinen Roman „Der Name der Rose“ dem Leser des 20. Jahrhunderts nahe gebracht. Er hat auf brilliante Art und Weise Wissen mit Mord verknüpft und nebenbei verdeutlicht wie groß die Macht einer Abtei mit entsprechender Bibliothek war. 

 

Die gute Schreibstube des Mittelalters entpuppt sich also spätestens hier dem Betrachter ganz deutlich als zentrales Büro des Wissens und der Vermehrung dessen. Eine Abtei war immer auch ein Ort der Macht; die Menge der Bücher bestimmte letztlich die Größe der Bedeutung eines Klosters. Der Beruf des Kopisten war damals noch legitim. Das wichtigste Buch war aber die Bibel, denn schließlich war das gesamte Tun auf die Vermehrung der Frömmigkeit ausgerichtet. Und diese Vermehrung trat besonders im Skriptorium auf, das, um es ein wenig humorvoll auszudrücken ohne despektierlich sein zu wollen, man als brüderlich geteiltes Büro bezeichnen kann. Die Einrichtung tut hier ein Übriges: Stühle gab es, Tische gab es. Ja, sogar die heutzutage als körperlich gesund betrachteten Stehpulte gab es - das frühe Büro war nahezu perfekt. Von der Zugluft und der teilweise regional bedingten Kälte einmal abgesehen.

Wenn man jetzt noch überlegt, dass es, obwohl es noch keine Apps und iPads gab,  doch auch von kollabrorativem Arbeiten sprechen könnte, so ist das Skriptorium im weitesten Sinne der Coworking Space des Mittelalters. 

 

Café oder Coworking Space?

Womit ich wieder bei meinem Ausgangsgedanken wäre. Der digitale Nomade, der, der unterwegs ist und sein MacBook aus dem Rucksack zieht, braucht eben ein Büro. Einen Tisch, einen Stuhl und ein Kalt- oder Warmgetränk sind seine Notwendigkeiten des Arbeitslebens. Das ist der Grundgedanke, der seit dem Mittelalter keiner wesentlichen Änderung unterworfen ist. Waren es früher Kneipen - ich erinnere hier nur Ernest Hemingway, der gerne mal ein Glas Alkohol mehr trank - oder seien es Cafés gewesen - hier sei an den begnadeten Kaffeehausgänger und -sitzer Robert Musil erinnert -, so sind es heute die Coworking Spaces, die ein Arbeiten im Büro anbieten. Unterschiedliche Professionen können zeitlich begrenzt an einem Tisch Platz nehmen und sich austauschen. Manchmal sogar an einem exotischen Ort. 

Vielleicht geht zukünftig der ein oder andere wieder in ein Café oder in eine Hafenkneipe. Ja, sogar Klöster bieten heutzutage Büro-Arbeitsplätze an - mit WLAN. Space gibt es überall und Coworking eigentlich auch. Doch so mancher Coworking Space ist einfach schöner.

(Constanze Brinkmann)

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